Arbeitsrecht


Zwang zur vorgezogenen Altersrente mit 63 qua Vorruhestandsvereinbarung (II)

ArbG Augsburg, Urteil vom 02.07.2015 -  5 Ca 2863/14 -

Kurze Inhaltsangabe:

 

Der klagende ehemalige Arbeitnehmer hatte mit der Beklagten im November 2009 einen Vorruhestandsvertrag unter Bezugnahme auf einen Tarifvertrag (Fu-TV/LSV) abgeschlossen, in dem u.a. ausgeführt wurde, dass der Anspruch auf Vorruhestandsentgelt "endet vor Beginn des Tages, ab dem der/die Berechtigte Anspruch auf Bezug der Regelaltersrente bzw. Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach den Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung hat." Nach Inkrafttreten des durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz zum 01.07.2014 in Kraft getretenen § 236b SGB VI verwies die Beklagte den Kläger, bei dem die dort benannten Voraussetzungen gegeben waren (63. Lebensjahr und 45 Jahre Wartezeit) darauf und stellte die Zahlungen von Vorruhestandsentgelt ein. Der Kläger, der dadurch Minderbezüge hat, erhob Klage, mit der er seinen Anspruch auf Vorruhestandsentgelt bis zur Regelaltersgrenze sichern wollte. 

 

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Es schloss sich der Auffassung der Beklagten an, dass sich der nicht einer Tarifvertragspartei angehörige Kläger nicht auf die Regelungen des Tarifvertrages beziehen könne, da eine vertragliche Abänderung ihm gegenüber (wie hier mir dem Vertrag vom November 2009 erfolgt) zulässig sei und die Bezugnahme auf den Tarifvertrag als Grundlage der Vereinbarung nicht eine Abweichung davon hindern würde. 

 

Die vom Kläger gegen das Urteil  eingelegte Berufung zu LAG München - 2 Sa 708/15 - wurde mit Urteil vom 04.02.2016 zurückgewiesen. Von der Kammer wurde im Protokoll festgehalten, dass diese das Urteil des Arbeitsgerichts für zutreffend hält. Daraufhin haben die Parteien auf eine schriftliche Begründung des Urteils verzichtet. 

 

Aus den Gründen:

Tatbestand:

 

 

Die Parteien streiten über den Beendigungsze itpunkt der zwischen ihnen geltenden Vor­-ruhestandsregelung sowie Vorruhestandsbezüge . 

 

Der  Kläger  arbeitete  seit  dem  01.01.1982 für  die  Rechtsvorgänger in  der  Beklagten  als Programmierer/Systembetreuer  in der Augsburger  Niederlassung. Mit dieser  schloss  der Kläger  am  23.11.2009  einen  Vorruhestandsvertrag.   Mit  diesem  Vertrag  wurde  das  Ar­ beitsverhältnis  der  Parteien  mit Ablauf  des  30.11.2009  beendet  und  unmittelbar  danach ein Vorruhestand  begründet.· 1n §2 Abs. 2 dieses Vertrages  ist geregelt, dass der Vorru­ hestand vor Beginn des Tages endet, ab dem der/die Berechtigte Anspruch  auf Bezug der Regelaltersrente   bzw.  Altersrente  für  besonders  langjährig  Versicherte  nach  den  Vor­ schriften  der  gesetzlichen  Rentenversicherung  hat.  In § 3  des  Vertrages  wird  der  Tarif­ vertrag  zur  Regelung  arbeitsrechtlicher  Auswirkungen  bei  der  Vereinigung  von  Trägern der landwirtschaftlichen   Sozialversicherung   vom   1.  Dezember   1999"  (Fu-TV/LSV)  als Rechtsgrundlage dieses Vertrages  bezeichnet.


In§ 11 Abs . 2 Fu-TV/LSV wird folgendeRegelung getroffen : 

 

Die Zahlung des Vorruhestandsgeldes endet mit Ablauf des Monats, in dem der Vorruhestandsgeldbezieher das für die Regelaltersgrenze maßgebliche Lebensjahr vollendet. " 

 

Ein Bezug auf die Altersrente  für  besonders  langjährig Versicherte findet  sich   nicht.

 

In § 12 Abs. 2 Fu-TV/LSV heißt es: 

 

,,Der Beschäftigte ist verpflichtet , die ihm nach anderen Best­immungen zu den gleichen Zwecken zustehenden Leistungen Dritter zu beantragen. Er hat den Arbeitgeber über die Antragstellung, die Entscheidung und die gewährten Leistungen unverzüglich zu unterrichten. Kommt der BeschäftigteseinenVerpflichtungen trotz Belehrungen nicht nach, stehen ihm kei­ne Ansprüche nach diesem Tarifvertrag zu." 

 

Der Kläger erfüllt seit dem 01.07.2014 die Voraussetzungen für den Bezug der Rente für besonders langjährig Versicherte und ist bzw. war kein Mitglied in einer der am Fu­ TV/LSV beteiligten Gewerkschaften .


Der Vorruhestandsbezug des Klägers betrug 2.995,00 monatlich, die zu erwartende Rente unter Berücksichtigung der Zusatzrente 2.464 ,00 monatlich. 

Seit Oktober2014 leistete die Beklagte an den Kläger keine Vorruhestandsbezüge mehr. 

Der Kläger ist der Rechtsansicht , der Vorruhestand bestehe über den 01.07.2014 hinaus bis zu dem Zeitpunkt , in dem der Kläger einen Anspruch auf Bezug der Regelaltersrente hat. Soweit der Vertrag vom 23.11.2009 eine Beendigung mit dem Zeitpunkt des An­spruchs auf Bezug der Altersrente für besonders langjährig Versicherte vorsehe , sei diser unwirksam , da insoweit eine Abweichung vom Fu-TV/LSV zu Lasten des Klägers vorliege. 

 

Der Kläger beantragt daher zuletzt: 

 

1.    Es wird festgestellt , dass das zwischen den Parteien seit dem 01 .12.2009 bestehende Vorruhestandsverhältnis gemäß Vertrag vom 23.11.2009 bis zum Ablauf des Mo­nats, in dem der Kläger das für die Regelaltersgrenze maßgebliche Lebensjahr vollendet hat unverändert über den 30.06.2014 hinaus, jedenfalls bis zum 31.10.2015, fortbesteht. 

 

2.    Die   Beklagte   wird   verurteilt an  den Kläger   Vorruhe­ standsbezüge für die Monate Oktober bis Dezember 2014 sowie Januar bis Mai 2015 in Höhe von  EUR 23.960 ,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten  über dem Basis­ zinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.

  

Die  Beklagte beantragt, 

 

die Klage abzuweisen. 

 

Die Beklagte vertritt die Rechtsansicht , die Voraussetzung zur Beendigung des Vorruhestands lägen sowohl nach § 2 Abs . 2 des Vertrages vom 23 .11.2009 als auch nach § 11 Abs. 2  Fu-TV/LSV seit 01 .07 .2014 vor. Hilfsweise sei der Vorruhestand  auf Grund  von § 12 Abs. 2 Fu-TV/LSV zu diesem Zeitpunkt beendet. 

 

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen und verwiesen .

 

Entscheidungsgründe:



Die zulässige Klage ist unbegründet. 


I.


1.       Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß § 2 1 Nr. 3 c ArbGG eröffnet. 

 

2.  Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Augsburgfolgt aus § 48 1 a ArbGG . 

 

II.

 

    Die Klage ist jedoch   unbegründet.

 

1.   Der Vorruhestand ist mit Ablauf des 30.06.2014 beendet. Der zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossene Vertrag über die Auflösung des Arbeitsvertrages und die Begründung des Vorruhestands vom 23.11.2009 sieht in § 2 II 2. Alternative die Beendigung des Vorruhestands vor dem  Beginn des Tages vor, ab dem der Kläger Anspruch auf Bezug der Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach den Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung hat. Diese Voraussetzung ist unstrittig ab dem 01.07.2014erfüllt. 

 

2.  Der Umstand, dass § 11 Abs. 2 Fu-TV/LSV als Voraussetzung für die Beendigung des Vorruhestands nur die Vollendung des für die Regelaltersgrenze maßgeblichen Le­bensjahres regelt, nicht aber den Anspruch auf Bezug der Altersrente für besonders langjährig Versicherte , ändert an diesem Ergebnis nichts. 

 

Zwar mag der Vertrag vom 23.11.2009 in diesem Punkt eine Benachteiligung des Klägers im Vergleich zu § 11 Abs . 2 Fu-TV/LSV enthalten. Durch den zusätzlichen Beendigungstatbestand der Altersrente für besonders langjährig Versicherte endet derVorruhestand - soweit diese Voraussetzungen vorliegen - vor dem im Tarifvertrag ver­ einbarten Zeitpunkt. Damit sind für den Berechtigten typischerweise - wie im vorliegenden Fall - finanzielle Einbußen verbunden, wenn der Ruhestandsbezug die Höhe der Altersrente übersteigt. 

 

Jedoch führt diese Benachteiligung im vorliegenden Fall nicht zur Unwirksamkeit der Regelung im Vertrag vom 23.11.2009. Voraussetzung in der zwingenden Wirkung von Rechtsnormen eines Tarifvertrages ist gemäß § 4 1 TVG die Tarifbindung beider Parteien. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, beschränkt § 4 III TVG abweichende Abmachungen . DerKläger ist unstreitig nicht tarifgebunden . Damit ist eine gegenüber dem Tarifvertrag abweichende Regelung im Vertrag vom 23.11.2009 zu Lasten des Klägers möglich. Aus dem Vertrag vom 23.11.2009 selbst ergibtsich nichts anderes: 

Der bloße Umstand, dass der Fu-TV/LSV in § 3 des Vertragesals Rechtsgrundlage bezeichnet wird, hindert die Parteien nicht, im Individualvertrag abweichende Rege­lungen - auchzu Lasten des Klägers -zu treffen. 

 

3.    Nachdem der Vorruhestand des Klägers mit Ablauf des 30.06.2014 beendet ist, be­steht darüber hinaus keine Verpflichtung der Beklagten, Vorruhestandsbezüge zu zah­len. Auch die Zahlungsklage war somit abzuweisen.

  

III.

 

 Die  Kostenentscheidung  ergibt  sich aus § 91  1 ZPO.


IV.

  

Die Streitwertfestlegung  erfolgt gemäß § 61 ArbGG i. V. m. § 42 1, III S. 1 2. HS   GKG. 

 

Gegen dieses Urteil steht dem Kläger das Rechtsmittel der Berufung an das Landesar-­ beitsgericht München gemäß nachfolgender Rechtmittelbelehrung zu.



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