Schadensersatz - Verkehrsunfallrecht


Vorfahrtsverletzung - Ausfahrt aus Grundstück

AG Alsfeld, Urteil vom 27.02.2013 - 30 C 286/12 (70)

Wer aus einem Grundstück heraus fährt hat eine gesteigerte Sorgfaltspflicht gem. § 10 StVO. Kommt es zu einer Kollision mit einem auf der Straße befindlichen Fahrzeug, obliegt ihm der Nachwies, dass er diese eingehalten hat. 


Urteil im Wortlaut:



Amtsgericht Alsfeld  

 

 

Verkündet am: 27 .02.2013


Aktenzeichen: 30 C 286/12 (70)

 

lnacker , Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Urkundsbeamtin-/beamter der Geschäftsstelle


 

 

 

 

 

I m    N a m. e n   d e s   V o I k e s

Urteil

 

 

ln dem Rechtsstreit

 


XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX

 

Kläger


 

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX

Geschäftszeichen: 572/11

 

gegen

 

1. H, XXXXXXXXXXX

 

2, .......

 

3´. ......

Geschäftszeichen : Schd.Nr . 2011-2263-9

Beklagte

 

Prozessbevollmächtigte zu 1, 2, 3: Rechtsanwälte Niehus u. Koll., Gerbermühlstr. 9,

60594 Frankfurt Geschäftszeichen: 343/12N24

 

 

 

hat das Amtsgericht Alsfeld durch den Direktor des Amtsgerichts Frank aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.01.2013

  

für Recht erkannt:

  

Die Klage wird abgewiesen.

 

 

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Klager zu tragen

 

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Si­ cherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Be­ trages abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leis­ten .

  

 

Tatbestand:

 

 

 

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall der  sich am 17.06.2011 auf dem N-weg in G. ereignet hat.

 

 

Zum Unfallzeitpunkt wollte der Kläger mit dem von ihm gefahrenen Pkw BMW 116 D, amt­ liches Kennzeichen XX-XX XXXX, sein Gründstück , den N-weg 5, nach links in Richtung B,-Ortsmitte verlassen .

 

 

Hierzu fuhr er aus seiner Grundstücksausfahrt heraus und leitete ein Abbiegemanöver nach links auf den N-weg in Richtung Ortsmitte ein, als es sodann , aus Gründen die zwischen den Parteien streitig sind , zu einem Zusammenstoss mit dem von dem Be­ klagten zu 2.) gefahrenen Traktor , Hersteller Massey-Ferguson , amtliches Kennzeichen XX-XX XXX, kam, dessen Halter der Beklagte zu 1.) ist und das bei der Beklagten zu 3.) haftpflichversichert ist, der aus der Richtung Ortsmitte kommend den N-weg in Richtung Feldgemarkung befuhr.

 

An der Front des Traktors war eine Schaufel angebracht die mit Steinen beladen war . Der Traktor traf , obwohl er eine Vollbremsung einleitete, den von dem Kläger gefahrenen Pkw, sowohl mit den Vorderrädern , als auch mit der Schaufel , wodurch an beiden Fahrzeugen ein Sachschaden entstand.

 

Im Anschluss an den Unfall machte der Kläger vorgerichtlich gegenüber der Beklagten zu 3.) mit Schreiben vom 07.07 .2011 zunächst die durch ein von dem Kläger eingeholten Pri­vatgutachten errechneten Reparaturkosten i. H. v. 7.589,57 € netto neben einer Ausla­ genpauschale i. H. v . 25,00 geltend , dessen Ausgleich die Beklagte zu 3.) mit Schreiben vom 11.07.2011 verweigerte .

 

Unter Vorlage einer Reparaturkostenrechnung der Fa. Autohaus K., die Reparaturkosten an dem klägerischen Pkw i. H. v. 11.174,74 ausweist (BI. 51 d. A.), sowie eines Schreibens seiner Vollkaskoversicherung, das zum Inhalt hat, dass diese Reparatur­ kosten seitens der Vollkaskoversicherung des Klägers abzüglich einer Selbstbeteiligung i. H. v. 300,00 übernommen wurden, macht der Kläger die vorgenannte Selbstbeteiligung i. H. v. 300,00 geltend (BI. 53-54 d. A.).

  

Ausweislich einer Bescheinigung eines Sachverständigen der klägerischen Vollkaskover­ sicherung, der D.-Versicherung, vom 28.09.2011 , aus der hervorgeht, dass vorliegend mit einer Wertminderung i. H. v. 1.500,00 zu rechnen ist (BI. 14 d. A.), macht der Kläger die Wertminderung des Pkw in vorgenannter Höhe geltend .

 

 

Darüber hinaus macht der Kläger unter Verweis auf das Schreiben seiner Vollkaskoversi­ cherung vom 10.08.2010 einen zu erwartenden Höherstufungsschaden in einer Höhe von 410,95 € geltend, welchen er im Wege der Feststellungsklage verfolgt.

 

 

Weiterhin macht der Kläger gegenüber den Beklagten vorgerichtliche Rechtsanwaltskos­ ten i. H. v. 661,16 geltend .

 

 

Der Kläger behauptet, dass sich der Unfall so zugetragen habe, dass er sich aufgrund einer Sichtbeeinträchtigung durch eine 2,50 Meter hohe Hecke, die sich auf der linken Sei­ te der Grundstücksausfahrt befunden habe, zunächst vorsichtig in den N-weg mit dem Fahrzeug hineingetastet habe. Zu diesem Zeitpunkt sei das Fahrzeug des Beklagten für den Kläger noch nicht zu sehen gewesen .

 

 

Als sich der Kläger mit dem von ihm gefahrenen Fahrzeug bereits komplett auf der Straße befunden habe, habe er das Fahrzeug des Beklagten mit überhöhter Geschwindigkeit aus einer Entfernung von 30 - 40 Metern auf sich zukommen sehen . Der Kläger habe sodann bis zum Stillstand gebremst und gehupt. Hierauf habe der Beklagte zu 2.) nicht reagiert.

 

 

Die Schaufel des Frontladers sei so eingestellt und beladen gewesen , dass der Beklagte zu 2.) in seiner Sicht erheblich eingeschränkt gewesen sei so, dass dieser maximal drei Meter nach vorne habe sehen können.

 

Der Kläger behauptet, es habe für ihn zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit gegeben auszuweichen, da vor ihm an der gegenüberliegenden Straßenseite ein Blumenkübel gewesen sei und auch ein Zurückfahren den Unfall nicht mehr hätte verindern können. 

Der Kläger ist der Auffassung , dass der Beklagte zu 2.) den Traktor nicht mit dem belade­ nen und angehobenen Frontlader auf der Strasse habe fahren dürfen, da das Sichtfeld des Beklagten zu 2.) komplett verdeckt und das Bremsverhalten beeinträchtigt gewesen sei.

 

 

Der Kläger beantragt daher, 

 

die Beklagten als Gesamtschuldner   zu verurteilen,

 

an den Kläger 1.800,00 € nebst Zinsen i. H. v . 5 Prozentpunkten über dem Basiszins­ satz seit dem 11.07.2011 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i. H. v. 661,16 € zu zahlen.

 

  

sowie festzustellen ,

 

 

dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche noch aus dem Unfallereignis vom 17.06.2011 auf dem N-weg in G. entstehenden Schäden zu erstatten.

 

  

Die Beklagten beantragen,

 

        die Klage abzuweisen .

 

 

 

Die Beklagten behaupten , dass sich der Unfall so zugetragen habe, dass der Beklagte zu 2.) maximal mit einer Geschwindigkeit von 20- 25 Km/h gefahren sei, da er 40 m vor der Unfalleinfahrt an einer Straßeneinfahrt die dortige Vorfahrtsbereichtigung beachtet habe und entsprechend langsam gefahren sei. Als er sich ca. 10 Meter vor der Grundstücksaus­ fahrt befunden habe, sei der Kläger mit dem von ihm gefahrenen Pkw für den Beklagten zu 2.) völlig unerwartet von dieser aus auf die Straße gefahren , ohne auf den dortigen Verkehr zu achten.

 

 

Durch die beladene Schaufel sei die Sicht des Beklagten zu 2.) nicht behindert gewesen, da diese hoch genug eingestellt gewesen sei. Der Beklagte zu 2.) habe daher völlig freie Sicht gehabt.

 

Die Beklagten bestreiten mit Nichtwissen , dass die Fa. B. Eigentümerin des klägerischen Fahrzeugs sei und sind der Auffassung, dass diese daher nicht befugt gewesen sei, Ansprüche bezüglich des Fahrzeugs an den Kläger abzutreten . Hilfweise bestreiten die Beklagten , dass der Unterzeichner der Abtretungserklärung eine entsprechende Befugnis für eine Abtretung gehabt habe.

 

Darüber hinaus bestreiten die Beklagten, dass der von dem Kläger gefahrene Pkw repa­ riert worden sei. Sie bestreiten weiterhin sämtliche von dem Kläger geltend gemachten Schadenspositionen unter Einschluss der Wertminderung, des Selbstbehalts , des Höher­ stufungsschadens ihrer Existenz und ihrer Höhe nach sowie , dass der Kläger seine Kas­ koversicherung überhaupt in Anspruch genommen habe. 

 

Die polizeiliche Ermittlungsakte der Polizeistation L. VNr . VU/00000000000 wurde beigezogen.

 

Entscheidungsgründe:

 

 

 

Die Klage ist unbegründet.

 

 

 

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, weder aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung noch der Verschuldenshaftung (§§ 7 I, 18 11 StVG , §§ 823 I, 823 II BGB, § 115 I WG i.V.m. § 1 PfiVG) .

 

Zwar ist der Kläger aktivlegitimiert, auch sind vorliegend wechselseitig Schäden durch

 

zwei Kraftfahrzeuge bei deren Betrieb im Straßenverkehr verursacht worden , so dass eine grundsätzliche Haftung des Klägers und des Beklagten zu 1.) als Halter der jeweiligen Fahrzeuge nach § 7 I StVG feststeht , auch wurde der Nachweis höherer Gewalt oder ei­ nes unabwendbaren Ereignisses durch keine Partei erbracht, dennoch war ein Anspruch der Klägers gegen den Beklagten zu 1.) im Ergebnis abzulehnen.

 

Die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang hängen nach § 17I und II StVG von den Umstanden, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2012. 1953).

 

Die Beweislast im Rahmen der Haftungsabwägung nach einem Verkehrsunfall trägt derje­nige, für den der Sachvortrag günstig ist.

 

Solche Umstände, die zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen wären, lassen sich im vorliegenden Fall nicht feststellen.

 

Aus den Lichtbildern der Akte, aus der sich die Endstellung der beiden Fahrzeuge ergibt (BI. 103 d. A.), ist erkennbar, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kollision aus seiner Grundstücksausfahrt herausgefahren war und dabei war sich auf der für ihn rechten Fahr­ spur einzuordnen . Der klägerische Pkw befand sich danach noch mit dem hinteren Teil auf der Fahrspur des Beklagten zu 2.) und mit dem vorderen Teil auf der anderen Fahrspur, so dass er zum Kollisionszeitpunkt beide Fahrspuren versperrte. Der klägerische Pkw befand sich von der Grundstückausfahrt aus schrag mit der Fahrzeugfront in Richtung Ortsmitte. Der Einschlag der Räder zeigt ebenfalls in Richtung Ortsmitte.

 

Der Vorgang des Ausfahrens aus einem Grundstück in eine öffentliche Straße ist dabei erst dann beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr einge­ordnet hat (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 60, 420).

 

§ 10 StVO knüpft dabei nicht eine ununterbrochene Bewegung des einfahrenden Kraft­ fahrzeugs, sondern an das Eindringen aus einem Grundstück auf eine dem durchgehen­ den Verkehr dienende Fahrbahn an, weshalb es unerheblich ist, ob es während dieses Vorganges zu kurzen Zwischenstops kommt, um den bevorrechtigten Verkehr zu beo­ bachten oder passieren zu lassen (vgl. OLG München Urteil vom 16.03.2012, Az.: 10 U 4398/11).

 

Kommt es zu einer Kollision mit einem im fließenden Verkehr befindlichen und einem aus einer Grundstücksausfahrt kommenden Fahrzeug, so spricht der Beweis des ersten Anschheins für eine schuldhafte Vorfahrtverletzung und das volle Verschulden des das Grundstück verlassenden Fahrzeugführers (vgl. OLG Düsseldorf VR 78, 852; OLG Celle Urteil vom 22.05.2003, Az.: 14 U 239/02) .

 

Denn derjenige, der aus einem Grundstück ausfährt, hat sich gemäß § 10  StVO bei der Ausfahrt aus seinem Grundstück so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Ver­kehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Das Gesetz legt demjenigen, der aus einem Grund­stück ausfährt mit dieser Formulierung die Verantwortung für die Gefahrlosigkeit seines Verhaltens im wesentlichen allein auf , so dass der Anschein gegen ihn spricht, wenn es bei diesem Fahrmanöver zu einer Kollision mit einem Verkehrsteilnehmer des fließenden Verkehrs kommt (vgl. OLG Köln, Urteil vom 19.07.2005,  Az.: 4 U 35/04).

 

Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttert.

 

Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass die Sicht auf die einzufahrende Strasse durch eine links von seinem Grundstück befindliche 2,50 Meter hohe Hecke eingeschränkt ge­wesen sei, so hätte er sich gegebenenfalls nach § 10 S. 1, 2. Hs. StVO einweisen lassen müssen.

 

Die Behauptung des Klägers, dass der Traktor sich in einer Entfernung von 30 -40 Me­tern befunden habe, als sich der klägerische Pkw bereits in seiner Endposition befand, hat der Kläger nicht bewiesen. Träfe diese Schilderung zu, erscheint es zudem schon nicht nachvollziehbar, dass der Kläger das Abbiegemanöver nicht beendete, sondern bremste, stehenblieb und dadurch beide Spuren versperrte. Vielmehr deutet die Endstellung der Fahrzeuge darauf hin, dass sich der Traktor in deutlich kürzerer Entfernung befunden ha­ben muss und von dem Kläger beim Ausfahren übersehen wurde.

 

Die Behauptung seitens des Klägers, dass der Beklagte zu 2.) zum einen mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei und die Schaufel des Frontladers so eingestellt gewesen sei, dass diese die Sicht des Beklagten zu 2.) beeinträchtigt habe, hat dieser ebenfalls nicht bewiesen. Einen Beweis für einen Mitverursachungsbeitrag des Beklagten zu 2.) als Fahrer des Fahrzeugs des Beklagten zu 1.), dass dieser sich gern§ 17 StVG zurechnen lassen müsste, hat der Kläger damit nicht geführt.

 

Insoweit ist bei dem Beklagten zu 1.) lediglich die allgemeine Betriebsgefahr in Rechnung zu stellen. Diese ist zwar bei einer landwirtschaftlichen Zugmaschine als massereiches und breites Fahrzeug im Verhältnis zu dem klägerischen Pkw aufgrund der Größe, des Gewichts und der zusätzlichen Seladung und eines damit einhergehend größeren Brems­wegs grundsätzlich als höher einzustufen (vgl. OLG Naumburg, NJW-RR 2004, 1545), tritt jedoch bei schuldhafter Vorfahrtsverletzung, wofür vorliegend der von der Kläger nicht er­ schütterte Anscheinsbeweis spricht, als besonders gravierendem Sorgfaltspflichtverstoß im Rahmen der Abwägung der gegenseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile nach § 17 I i. V. m. II StVG zurück.


Aus denselben Gründen ist ein Anspruch gegen den Beklagten zu 2.) nach § 18 I S.1 StVG sowie gegen die Beklagte zu 3.) aus § 115 I WG i.V.m. § 1 PfiVG abzulehnen, ebenso sowie ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

 

Aus den vorgenannten Gründen ist auch die Feststellungsklage des Klägers unbegründet.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus§ 91 I S. 1 ZPO.

 

Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit findet seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

 

Frank,

Direktor des Amtsgerichts

 

 


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