Arbeitsrecht


Anspruch auf Vorruhestand

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.10.2016 - 5 Sa 100/16 -

Tenor

 

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 26. Januar 2016, Az. 2 Ca 1514/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Abschluss eines Vorruhestandsvertrags.

Der im Juli 1960 geborene, schwerbehinderte Kläger war seit Dezember 1982 bei der landwirtschaftlichen Krankenkasse Rheinhessen-Pfalz in A-Stadt als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Zum 01.01.2013 ist sein Arbeitsverhältnis auf die Beklagte übergegangen. Der Kläger arbeitet seit 2005 als Sachbearbeiter in der Abteilung Pflegekasse zu einem Grundentgelt nach Entgeltgruppe 9 TVöD iHv. € 3.931,43 brutto.

Durch Gesetz zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV-NOG) vom 12.04.2012 wurde die Beklagte zum 01.01.2013 als Trägerin für die landwirtschaftliche Sozialversicherung errichtet; die bisherigen Träger wurden eingegliedert und aufgelöst. Die Beklagte trat nach Art. 2 § 1 Abs. 3 LSV-NOG in die bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Die Beklagte sollte bis zum 31.12.2015 das Personal um ca. 700 Vollzeitkräfte verringern und Standorte schließen, um Kosten in einer Größenordnung von ca. 40 Mio. Euro einzusparen. Der Standort A-Stadt soll erhalten bleiben. Der Arbeitsplatz des Klägers ist nicht weggefallen, weil im Bereich Pflegekasse durch das Pflegeneuordnungsgesetz ein personeller Mehrbedarf von acht Vollzeitkräften entstanden ist.

Nach Art. 2 § 1 Abs. 4 LSV-NOG findet auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag zur Regelung arbeitsrechtlicher Auswirkungen bei der Vereinigung von Trägern der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 01.12.1999 (FuTV) Anwendung. Darin ist auszugsweise geregelt:

"§ 2 Begriffsbestimmung

Maßnahmen im Sinne dieses Tarifvertrages sind beabsichtigte oder veranlasste organisatorische und/oder technische Maßnahmen, wie z.B. die Auflösung, Verlegung, Zusammenlegung oder Ausgliederung eines LSV-Trägers oder von deren Verbänden oder von Teilen von diesen, ...

§ 5 Arbeitsplatzsicherung

(1) Bei Maßnahmen im Sinne von § 2 ist für den Beschäftigten vorrangig der Erhalt des bisherigen Arbeitsplatzes zu sichern.

Sollte dies nicht möglich sein, ist der Arbeitgeber zu einer abgestuften Arbeitsplatzsicherung nach folgender Reihenfolge verpflichtet:

a) gleichartiger Arbeitsplatz am bisherigen Beschäftigungsort,…
f) anderer Arbeitsplatz am nächstmöglichen Beschäftigungsort. …

§ 11 Vorruhestandsgeld

(1) Kann einem Beschäftigten kein Arbeitsplatz nach § 5 Abs. 1 angeboten werden, so endet das Beschäftigungsverhältnis auf Antrag des Beschäftigten mit gleichzeitiger Zusage der Zahlung eines Vorruhestandgeldes. Die Höhe des Vorruhestandsgeldes beträgt monatlich

- 75 % der Urlaubsvergütung, wenn der Beschäftigte das 50. Lebensjahr und noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet hat,
- 85 % der Urlaubsvergütung, wenn der Beschäftigte das 55. Lebensjahr (bei Schwerbehinderung das 50. Lebensjahr) vollendet hat.

Voraussetzung ist, dass mindestens 240 Umlagemonate (…) zurückgelegt worden sind oder für mindestens 120 Kalendermonate ein Beschäftigungsverhältnis bei LSV-Trägern oder deren Verbänden bestanden hat. …"

Die gemeinsame Personalvertretung informierte die Beschäftigten am 20.03.2013 ua. darüber, dass diejenigen, die in den nächsten ein bis drei Jahren an einer Vorruhestandsregelung nach § 11 FuTV interessiert seien, ggü. der Personaladministration, die eine Liste führe, ihr Interesse bekunden könnten. Das Gerücht, Vorruhestandsanträge würden nach dem Eingangsdatum abgearbeitet, entbehre jeder Grundlage. Der Kläger zeigte mit Schreiben vom 28.03.2013 und vom 14.04.2014 sein Interesse an einer Vorruhestandsregelung an.

Die Beklagte veröffentlichte am 06.06.2014 folgende Informationen über Interessenbekundungen am Vorruhestand und einstweiligen Ruhestand im Intranet:

"Nach aktueller Planung werden bis zum 31.12.2014 mindestens 250 Vollzeitarbeitskräfte, insb. durch Versetzung in den einstweiligen Ruhestand/Vorruhestand oder durch Wechsel auf Stellenangebote des Bundes ausscheiden. Vorrangig soll dies durch den sog. Arbeitsplatzwegfall im Rahmen von Standortschließungen oder anderer organisatorischer Maßnahmen erfolgen. Weitere Beschäftigte werden durch den sog. Kriterienkatalog (Punkteschema) ausgewählt.

Nachstehend informieren wir Sie über den mit den Interessenvertretungen der Beschäftigten abgestimmten Kriterienkatalog zur Festlegung der Rangfolge der Interessenbekundungen am Vorruhestand bzw. einstweiligen Ruhestand. Dieser Kriterienkatalog findet Anwendung, soweit nicht ein individueller Arbeitsplatzwegfall gegeben ist. Auf der Grundlage der Kriterien wird nach dem jeweils erreichten Gesamtpunktwert eine Rangliste gebildet. Hieraus kann dann der maßgebliche Personenkreis für den vorzunehmenden Personalabbau ermittelt werden.

Als verbindliche Kriterien sind festgelegt:

- Besoldung-/Vergütungsgruppe
- Beschäftigungszeit bei der LSV
- Lebensalter (Geburtsdatum)
- Schwerbehinderung/Gleichstellung
- Standort.

Die Bewertung der Kriterien entnehmen Sie bitte nachfolgender Datei.

Neben den o.a. harten Kriterien sollen auch soziale Aspekte nicht unberücksichtigt bleiben. Dies kann unter anderem die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger sein. Die Bepunktung beträgt hier bis zu zehn Punkte. Bereits berücksichtigte Kriterien (Lebensalter, Schwerbehinderung) können hierunter nicht erneut bepunktet werden.

Zur Berücksichtigung dienstlicher Belange werden zuerst die Stabs- und Bereichsleiter/-innen über den jeweiligen vorgesehenen Personalabbau in ihrem Bereich informiert. Seitens der Vorgesetzten soll im Rahmen ihrer Stellungnahmen eine Angabe über den jeweiligen möglichen Austrittszeitpunkt erfolgen. Über den sich hieraus ergebenden Personenkreis wird die jeweilige Personal- und Schwerbehindertenvertretungen umgehend informiert. Sofern auf der Grundlage der Stellungnahmen auf Beschäftigte grundsätzlich oder zum vorgesehenen Termin nicht verzichtet werden kann, ist in Abstimmung mit der Stabsstelle Organisation/Innenrevision und dem Arbeitsbereich Personalplanung und -entwicklung/BGM/BEM zu entscheiden, ob dienstliche Belange einem vorzeitigen Ausscheiden entgegenstehen.

Zur Klärung von Unstimmigkeiten oder Zweifelsfällen wird eine Schiedsstelle errichtet. Hierzu gehört auch die Festlegung der Bepunktung der im Einzelfall vorgetragenen sozialen Aspekte. Zusätzlich wird die Schiedsstelle darüber informiert, bei wem dienstliche Belange einem vorzeitigen Ausscheiden entgegenstehen. …

Insgesamt werden nach derzeitiger Schätzung um die 700 Vollzeitarbeitskräfte bis zum 31.12.2015 abzubauen sein."

Der Kläger erzielte nach dem Kriterienkatalog 164 Gesamtpunkte. Im Einzelnen: Vergütungsgruppe (E 9 TVöD) 60 Punkte, Beschäftigungszeit (30-39 Jahre) 40 Punkte, Lebensalter 5 Punkte, Schwerbehinderung 15 Punkte, Standort A-Stadt 40 Punkte, pflegebedürftige Angehörige 4 Punkte. Die errichtete Schiedsstelle war mit dem Antrag des Klägers am 11.05.2015 befasst. Das Ergebnis ist streitig.

Am 06.07.2015 informierte die Beklagte im Intranet darüber, dass statt des ursprünglich geplanten Abbaus von 714 Vollzeitstellen bis zum 31.12.2015 der Personalabbau nach erreichten 616 Stellen nicht fortgesetzt werden soll. Der Personalabbau und die Veränderungen in den einzelnen Bereichen gefährde die Arbeitsfähigkeit in einzelnen Organisationseinheiten zunehmend; so seien Rückstände in der Bearbeitung aufgetreten, außerdem seien vermehrt Überlastungsanzeigen erfolgt. Somit sei der Personalabbau über das Ranglistenverfahren abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 10.08.2015 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung aus dienstlichen Gründen nach einer fachlichen Stellungnahme der Bereichsleitung und der Bestätigung der Stabsstelle Organisation/Innenrevision ab. Mit seiner am 21.09.2015 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen eingegangenen Klage macht der Kläger den Vertragsschluss gerichtlich geltend.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, mit ihm eine Vorruhestandsvereinbarung mit gleichzeitiger Zusage der Zahlung eines Vorruhestandsgeldes gemäß dem Tarifvertrag zur Regelung arbeitsrechtlicher Auswirkungen bei der Vereinigung von Trägern der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 01.12.1999 mit sofortiger Wirkung abzuschließen,

hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, sein Angebot auf Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung mit gleichzeitiger Zusage der Zahlung eines Vorruhestandsgeldes gemäß dem Tarifvertrag zur Regelung arbeitsrechtlicher Auswirkungen bei der Vereinigung von Trägern der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 01.12.1999 mit sofortiger Wirkung anzunehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 26.01.2016 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe aus § 11 FuTV keinen Anspruch auf einen Vorruhestandsvertrag, weil sein Arbeitsplatz unstreitig nicht weggefallen sei. Ein Anspruch folge auch nicht aus dem zwischen der Beklagten und dem Gesamtpersonalrat vereinbarten Kriterienkatalog iVm. § 315 BGB. Der Kläger habe keinen Verstoß gegen die erstellte Rangliste dargelegt, insb. keinen Beschäftigten mit einem kleineren Punktwert benannt, mit dem die Beklagte einen Vorruhestandsvertrag geschlossen habe. Die Ablehnung seines Antrags verstoße nicht gegen billiges Ermessen, denn die Beklagte habe bei ihrer Auswahlentscheidung dienstliche Belange berücksichtigen dürfen. Deren Berücksichtigung sei nicht auf vorruhestandswillige Beschäftigte in "Schlüsselpositionen" oder "mit kurzfristig nicht ersetzbarem Spezialwissen" beschränkt worden. Die dienstlichen Belange der Beklagten überwögen das Interesse des Klägers am Vorruhestand. Im Bereich Pflegekasse sei ein personeller Mehrbedarf entstanden. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, die Bearbeitung von Vorgängen aus dem Bereich Pflegekasse vom Standort A-Stadt an den Standort K. zu verlagern. Es sei vielmehr sachgerecht, dass bei mehreren Standorten jeder personell und sachlich in der Lage sei, die übertragenen Arbeiten durchzuführen. Es sei unerheblich, dass die Beklagte zwei Beschäftigte aus dem Bereich Pflegekasse in A-Stadt (Frau St. und Frau B.) in die Abteilung innerer Dienst bzw. Berufsgenossenschaft versetzt habe. Die Beklagte habe dargelegt, dass Frau St. aus gesundheitlichen Gründen gewechselt sei, Frau B. sei durch einen anderen Beschäftigten ersetzt worden. Soweit der Kläger geltend mache, dass sein Vorgesetzter und eine Mitarbeiterin aus dem Bereich Pflegekasse (Frau G.) vom Arbeitsbereichsleiter angesprochen worden seien, ob sie eine Vorruhestandsvereinbarung abzuschließen wollen, stünde dies den dienstlichen Belangen an der Ablehnung seines Antrags nicht entgegen. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 26.01.2016 Bezug genommen.

Gegen das am 18.02.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 18.03.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 18.05.2016 verlängerten Begründungsfrist mit am 18.05.2016 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Er macht geltend, er könne aus dem verbindlichen Kriterienkatalog, den die Beklagte mit dem Gesamtpersonalrat vereinbart habe, den Abschluss eines Vorruhestandsvertrags beanspruchen. Bei der Rangliste handele es sich um eine Namensliste iSd. § 1 Abs. 5 KSchG. Aus einem vor dem Arbeitsgericht geführten Parallelverfahren sei ihm bekannt geworden, dass eine 49-jährige Beschäftigte aus A-Stadt (Entgeltgruppe 8, 32 Jahre beschäftigt, nicht schwerbehindert, Gesamtpunktwert 120) auf ihren Antrag in den Vorruhestand versetzt worden sei. Sein Vorgesetzter sei mit einem Gesamtpunktwert von 160 gefragt worden, ob er in Vorruhestand wechseln wolle. Auch der Mitarbeiterin G. habe die Beklagte, trotz niedrigerer Punktzahl, eine Versetzung in den Vorruhestand angeboten.

Seinem Anspruch aus der Namensliste könne die Beklagte keine dienstlichen Belange entgegenhalten. Zwischen der Beklagten und dem Gesamtpersonalrat sei vereinbart worden, dass dienstliche Belange nur für ganz wenige Mitarbeiter "in Schlüsselpositionen" oder "mit kurzfristig nicht ersetzbarem Spezialwissen" im Rahmen des billigen Ermessens berücksichtigungsfähig seien. Da er keine Schlüsselposition einnehme und als Quereinsteiger nicht über Spezialkenntnisse in diesem Sinne verfüge, hätte das Arbeitsgericht über die streitige Vereinbarung Beweis erheben müssen. Auch im Übrigen entspreche die Entscheidung der Beklagten nicht billigem Ermessen. Soweit sie sich darauf berufe, dass die Funktionsfähigkeit des Bereichs Pflegekasse gewährleistet bleiben müsse, verwehre sie sämtlichen Mitarbeitern dieses Bereichs - ungeachtet ihrer Gesamtpunktzahl - eine Vorruhestandsregelung. Der Bereich Pflegekasse sei jedoch in Kenntnis des Pflegeneuordnungsgesetzes und des damit einhergehenden erhöhten Arbeitsaufwands nicht aus den Verhandlungen zwischen der Beklagten und dem Gesamtpersonalrat ausgenommen worden.

Weil bei der Auslegung des Begriffs "dienstliche Belange" die zu § 8 TzBfG aufgestellten Grundsätze heranzuziehen seien, hätte die Beklagte die konkreten Auswirkungen seiner Versetzung in den Vorruhestand auf die betrieblichen Abläufe darlegen müssen. Die Beklagte habe alle zumutbaren organisatorischen Maßnahmen zu ergreifen, um seinem Antrag zu entsprechen. Die Bearbeitung der Vorgänge im Bereich Pflegekasse erfolge standortübergreifend und ausschließlich aktenlos. So habe der Abschnittsleiter am 25.01.2016 angeordnet, dass zwei Sachbearbeiter des Standorts A-Stadt aus der Abteilung Pflegekasse die Sachbearbeitung für Gebiete des Standorts K. übernehmen müssen. Der Beklagten sei daher möglich, organisatorische Maßnahmen zu treffen, um die Arbeitsfähigkeit des Bereichs Pflegekasse aufrechtzuerhalten. Dies sei ihr auch während seiner fünfmonatigen krankheitsbedingten Fehlzeit im Jahr 2015 gelungen. Sollte er in den Vorruhestand wechseln, ginge die Arbeitsfähigkeit der gesamten Abteilung Pflegekasse an den Standorten in A-Stadt und K. sicherlich nicht verloren. Die Grenze der Belastbarkeit sei nicht erreicht. Hierfür spreche auch, dass die Beklagte seinem Vorgesetzten und Frau G. angeboten habe, in den Vorruhestand zu wechseln.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich zuletzt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 26.01.2016, Az. 2 Ca 1514/15, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, sein Angebot auf Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung mit gleichzeitiger Zusage der Zahlung eines Vorruhestandsgeldes gemäß dem Tarifvertrag zur Regelung arbeitsrechtlicher Auswirkungen bei der Vereinigung von Trägern der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 01.12.1999 anzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, es sei zutreffend, dass sie eine 49-jährige Mitarbeiterin aus A-Stadt (nicht schwerbehindert, Gesamtpunktwert 120) auf ihren Antrag in den Vorruhestand versetzt habe. Diese Mitarbeiterin sei jedoch im Abschnitt X im Team Y tätig gewesen. Sie habe den Antrag des Klägers nicht mit der Begründung abgelehnt, dass er den erforderlichen Punktwert nicht erreicht habe, sondern aus dienstlichen Gründen. Es treffe zu, dass sie dem Vorgesetzten des Klägers bei einem Gesamtpunktwert von 160 die Möglichkeit eröffnet habe, in den Vorruhestand zu wechseln. Der Aufgabenbereich des Vorgesetzten als Teamleiter sei nicht identisch mit dem Aufgabenbereich des Klägers als Sachbearbeiter. Frau G. habe ihren Antrag auf Vorruhestand zurückgenommen, nachdem sie dessen Chancenlosigkeit erkannt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

B.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung.

I.

Der auf die Verurteilung der Beklagten zur Annahme des im Klageantrag liegenden Vertragsangebots des Klägers gerichtete zweitinstanzliche Antrag ist zulässig. Der Vertragsschluss soll mit der Rechtskraft eines der Klage stattgebenden Urteils nach § 894 Satz 1 ZPO herbeigeführt werden (vgl. BAG 15.09.2009 - 9 AZR 643/08 - Rn. 15 mwN).

II.

Der Antrag ist unbegründet.

1. Ein Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Vorruhestandsvertrags folgt weder aus dem Gesetz zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV-NOG) vom 12.04.2012 noch aus dem Tarifvertrag zur Regelung arbeitsrechtlicher Auswirkungen bei der Vereinigung von Trägern der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (FuTV) vom 01.12.1999, der nach Art. 2 § 1 Abs. 4 LSV-NOG auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

Der Anspruch auf einen Vorruhestandsvertrag nach § 11 FuTV setzt voraus, dass dem Beschäftigten kein Arbeitsplatz nach § 5 Abs. 1 FuTV angeboten werden kann. Nach dieser tariflichen Vorschrift ist bei Änderungen der Organisationsstrukturen "vorrangig" der Erhalt des bisherigen Arbeitsplatzes zu sichern. Da der bisherige Arbeitsplatz des Klägers im Bereich Pflegekasse am Standort A-Stadt unstreitig nicht weggefallen ist, muss die Beklagte dessen Antrag auf einen Wechsel in den Vorruhestand nicht annehmen. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

2. Der Kläger kann einen Anspruch auf eine Vorruhestandvereinbarung auch nicht aus dem am 06.06.2014 von der Beklagten im Intranet veröffentlichten Ranglistenverfahren herleiten. Der Kriterienkatalog, den die Beklagte mit dem gemeinsamen Personalrat zur Festlegung der Rangfolge der Interessenbekundungen am Vorruhestand "abgestimmt" hat, stellt keine Dienstvereinbarung iSd. § 73 BPersVG dar. Die gemeinsame Personalvertretung hätte nach § 75 Abs. 3 BPersVG auch kein Mitbestimmungsrecht gehabt, weil dem die Sperrwirkung der Regelungen im Tarifvertrag zur Regelung arbeitsrechtlicher Auswirkungen bei der Vereinigung von Trägern der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 01.12.1999 (FuTV) entgegensteht, der kraft Gesetzes Anwendung findet (Art. 2 § 1 Abs. 4 LSV-NOG).

In § 11 FuTV sind die Anspruchsvoraussetzungen für einen Wechsel der Beschäftigten in den Vorruhestand vollständig, unmittelbar und erschöpfend geregelt. Weder das LSV-NOG noch der FuTV enthalten Bestimmungen, die zur Leistung von Vorruhestandsgeld in weiteren als den von § 11 FuTV erfassten Konstellationen ermächtigen würden. Aus dem Umfang, der inhaltlichen Ausdifferenzierung und der systematischen Vollständigkeit des FuTV kann abgelesen werden, dass die Tarifvertragsparteien einen Willen zur abschließenden Regelung der Materie besaßen. Für eine zusätzliche Regelung von Vorruhestandsansprüchen zwischen der Beklagten und der gemeinsamen Personalvertretung bleibt daher kein Raum.

Die Frage, inwiefern die gesetzliche Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung durch das LSV-NOG die Merkmale einer Rationalisierungsmaßnahme iSv. § 75 Abs. 3 Nr. 13 BPersVG erfüllt, kann dahinstehen (zur Schließung einer Betriebskrankenkasse durch das Bundesversicherungsamt vgl. BVerwG 28.11.2012 - 6 P 11/11).

Entgegen der Ansicht der Berufung musste das Arbeitsgericht keinen Beweis über die Behauptung des Klägers erheben, zwischen der gemeinsamen Personalvertretung und der Beklagten sei vereinbart worden, dass sich die Beklagte nur bei vorruhestandswilligen Mitarbeitern in "Schlüsselpositionen" oder "mit kurzfristig nicht ersetzbarem Spezialwissen" darauf berufen dürfe, ihrem Ausscheiden stünden dienstliche Belange entgegen. Eine derartige Vereinbarung wäre schon aufgrund des im Eingangssatz von § 75 Abs. 3 BPersVG normierten Gesetzes- und Tarifvorrangs unwirksam.

Nichts anderes ergibt sich im Lichte des tariflichen Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG). Im Anwendungsbereich betriebsverfassungsrechtlicher bzw. personalvertretungsrechtlicher Mitbestimmungstatbestände, die vom Gesetzgeber unter Tarifvorrang gestellt worden sind, kann dieses Prinzip, wenn - wie hier - Tariföffnungsklauseln fehlen - nicht zum Vorrang günstigerer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen führen, weil hierdurch die Anordnung des Tarifvorrangs und die mit ihr bezweckte Absicherung der tariflichen Regelungsebene gegen konkurrierende betriebs- bzw. dienststelleninterne Rechtssetzungsaktivitäten unterlaufen würde (vgl. BVerwG 16. April 2013 - 6 P 11/12 - Rn. 18 mwN).

3. Es kann dahinstehen, ob es sich bei der am 06.06.2014 von der Beklagten im Intranet veröffentlichten Information an die Beschäftigten, die - wie der Kläger - ihr Interesse an einer Vorruhestandsvereinbarung bekundet haben, um eine Gesamtzusage handelt. Der Kläger hätte nur dann einen Anspruch auf einen Vorruhestandsvertrag, wenn er die betreffenden Anspruchsvoraussetzungen erfüllte (vgl. BAG 20.08.2014 - 10 AZR 453/13 - Rn. 14 mwN).

Das ist nicht der Fall. Die Beklagte hat den Arbeitnehmern, deren Arbeitsplatz - wie der des Klägers - nicht weggefallen ist, nicht uneingeschränkt zugesagt, ihrem Vorruhestandswunsch ausschließlich in der Reihenfolge der erreichten Gesamtpunkte (nach Kriterienkatalog) zu entsprechen. Vielmehr sind nach dem eindeutigen Wortlaut der Information vom 06.06.2014 "dienstliche Belange" zu berücksichtigen. Dies entspricht auch den gesetzlichen Pflichten der Beklagten, die die Neuorganisation gegenüber ihren Beschäftigten sozialverträglich umsetzen (Art. 2 § 1 Abs. 6 LSV-NOG) und bei der Aufgabenverteilung eine fachlich umfängliche Betreuung der Versicherten sicherstellen (Art. 1 § 4 Abs. 1 LSV-NOG) soll.

Entgegen der Ansicht des Klägers sind die Vorschriften des § 1 Abs. 5 KSchG oder § 8 TzBfG - weder unmittelbar noch analog - zur Auslegung der Information der Beklagten im Intranet vom 06.06.2014 heranzuziehen. Aus der Information geht eindeutig hervor, dass es einer Prüfung bedarf, ob "dienstliche Belange" dem beantragten Vorruhestand entgegenstehen. Die vorliegende Fallkonstellation ist mit einer betriebsbedingten Kündigung oder der Durchsetzung eines Anspruchs auf Teilzeitarbeit (unter proportionaler Verringerung des Gehalts) nicht vergleichbar. Die organisatorische Gestaltungsfreiheit der Beklagten lässt sich - entgegen der Ansicht der Berufung - nicht dahin einschränken, dass sie die Aufgabenverteilung zur Sicherstellung der fachlich umfänglichen Betreuung der Versicherten an den Vorruhestandswünschen ihrer Beschäftigten zu orientieren hätte.

4. Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, ist die Beklagte bei der Entscheidung über den Vorruhestandsantrag des Klägers nicht frei in der Ausübung ihres Ermessens. Der Kläger hat vielmehr Anspruch darauf, dass die Beklagte bei der Entscheidung über seinen Antrag billiges Ermessen gemäß § 315 BGB wahrt. Die Beklagte muss bei ihrer Entscheidung die wesentlichen Umstände des Einzelfalls und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigen (zu Altersteilzeitanträgen vgl. BAG 27.01.2011 - 8 AZR 280/09 - Rn. 41; BAG 15.09.2009 - 9 AZR 643/08 - Rn. 26 mwN).

Das Arbeitsgericht ist zu Recht zu der Auffassung gelangt, dass die ablehnende Entscheidung der Beklagten der Billigkeit entspricht. Die Berufungskammer schließt sich dem an. Die Interessen des Klägers an einem Eintritt in den Vorruhestand (mit einem Vorruhestandsgeld von 85 %) liegen auf der Hand. Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er mit einem GdB von 50 schwerbehindert und nach einem ärztlichen Attest, das er der Beklagten vorgelegt hat, aufgrund Hypertonie schlaganfallgefährdet ist. Sowohl seine Mutter als auch seine Schwiegermutter sind pflegebedürftig. Hinzu kommt, dass der Kläger im Jahr 2015 fünf Monate arbeitsunfähig erkrankt war. Im betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) wurde er nach seinem unbestritten gebliebenen Vortrag von der Vertretungsregelung für andere Mitarbeiter sowie von Zusatzaufgaben und zusätzlichen Fallzahlen ausgenommen.

Die dienstlichen Belange der Beklagten an der Weiterbeschäftigung des Klägers als Sachbearbeiter in der Abteilung Pflegekasse überwiegen die des Klägers am Vorruhestand. Es ist unstreitig, dass im Bereich der Pflegekasse durch das Pflegeneuordnungsgesetz ein personeller Mehrbedarf von acht Vollzeitkräften entstanden ist, der nicht durch Neueinstellungen abgedeckt wird. Nach der vom Kläger vorgelegten Anlage K 12 rügte der Gesamtpersonalrat am 30.04.2015 eine Überlastung der verbliebenen Mitarbeiter. Es ist weiterhin unstreitig, dass der Standort A-Stadt erhalten bleiben soll. Die Beklagte muss deshalb dafür sorgen, dass in A-Stadt eine fachlich umfängliche Betreuung der Versicherten sichergestellt ist (Art. 1 § 4 Abs. 1 LSV-NOG). Das ist ein Sachgrund für die Ablehnung des klägerischen Antrags. Eine ordnungsgemäße Sachbearbeitung setzt (auch) voraus, dass genügend qualifiziertes Personal am Standort vorhanden ist. Die Beklagte muss deshalb die Aufgaben, die der Kläger am Standort A-Stadt wahrzunehmen hat, entgegen der Ansicht der Berufung, nicht an den Standort K. verlagern, um ihm einen Eintritt in den Vorruhestand zu ermöglichen. Soweit der Kläger geltend macht, es sei der Beklagte auch gelungen, seine fünfmonatige Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2015 zu überbrücken, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg. Krankheitsbedingte Ausfallzeiten kann die Beklagte nicht beeinflussen; sie müssen ggf. durch Mehrarbeit kompensiert werden. Den verbleibenden Mitarbeitern kann jedoch nicht zugemutet werden, die unstreitig vorhandene Arbeit des Klägers auf Dauer mitzuerledigen, damit er in den Vorruhestand wechseln kann.

5. Der geltend gemachte Anspruch kann auch nicht auf den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt werden.

Dieser Grundsatz verbietet die sachlich ungerechtfertigte Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage und die sachfremde Gruppenbildung durch den Arbeitgeber. Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt, wenn die Regelung mit anderen Worten für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtung willkürlich ist (vgl. nur BAG 31.07.2014 - 6 AZR 822/12 - Rn. 41 mwN).

Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht ersichtlich. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer übereinstimmend erklärt, dass die Beklagte mit keinem Sachbearbeiter aus dem Bereich Pflegekasse in A-Stadt einen Vorruhestandsvertrag abgeschlossen hat. Die Beklagte hat den zweitinstanzlichen neuen Vortrag des Klägers, sie habe eine 49-jährige Mitarbeiterin aus A-Stadt (nicht schwerbehindert, Gesamtpunktwert 120) auf ihren Antrag in den Vorruhestand versetzt, bestätigt. Diese Mitarbeiterin war jedoch unstreitig nicht im Bereich Pflegekasse, sondern im Abschnitt X im Team Y tätig. Daher ist sie mit dem Kläger nicht vergleichbar. Es verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, dass der Vorgesetzte des Klägers (Gesamtpunktwert 160) vom Bereichsleiter angesprochen worden ist, ob er in den Vorruhestand wechseln wolle, was dieser unstreitig abgelehnt hat. Der Aufgabenbereich des vorgesetzten Teamleiters ist mit dem des Klägers als Sachbearbeiter nicht vergleichbar. Es kann auch dahinstehen, ob die Beschäftigte Gleich mit dem Kläger vergleichbar ist, denn sie ist ebenfalls nicht in den Vorruhestand gewechselt.

C.

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.